Architekturwissenschaft. Vom Suffix zur AgendaForum Architekturwissenschaft,Bd. 5Hg. von Juan Almarza Anwandter, Jan Bovelet, Michael Dürfeld, Eva Maria Froschauer, Christine Neubert, Peter I. Schneider und Gernot WeckherlinUniversitätsverlag der TU Berlin, 2021ISBN 978-3-7983-3204-1 (online)Gesamtpublikation auf demRepositorium der TU Berlin LinkISBN 978-3-7983-3203-4 (print)Die Druckpublikation kann direkt im Webshop des Universitätsverlages der TU Berlin bestellt werden Link
Inhalt und Vorwort
Jan BoveletArchitektur, Wissenschaft und Architekturwissenschaft. Eine Einführung+Die Namensbildung Architekturwissenschaft ist eine jener Benennungen mit dieser charakteristischen Unschärfe, die auf der einen Seite sehr suggestiv und produktiv sein, auf der anderen bisweilen auch zu Ratlosigkeit führen kann. Eine Wissenschaft der Architektur aufbauen? Sicherlich – aber was bedeutet Wissenschaft dabei genau? Sich auf Wissenschaftlichkeit als Standard oder Rahmen des Diskurses zu verständigen, ist das nicht erst seit heute und unter Bedingungen der Wissensgesellschaft ein Allgemeinplatz? Allzu oft bleibt dabei der Bezug auf Wissenschaftlichkeit Lippenbekenntnis und rhetorische Figur.Zum Beitrag Link
Eva Maria FroschauerArchitekturwissenschaft. Zur Geschichte einer Begriffswerdung+Über ‚einen‘ Begriff der Architekturwissenschaft setzen wir Mitglieder des gleichnamigen Netzwerks uns seit dessen Gründung im Jahr 2010 in unterschiedlicher Intensität und in verschiedenen Veranstaltungsformaten sowie als dauerbegleitende Diskussion immer wieder auseinander. Eines ist klar – es lässt sich darüber trefflich streiten! Und es kann für uns kaum eine bessere Arbeitsaufforderung geben, als genau jenes schwierige Feld der Beschreibung oder überhaupt erst Erfindung, der Zusammenziehung oder weiteren Ausdifferenzierung, letztlich der Setzung und des Umrisses ‚einer‘ Architekturwissenschaft zum 5. Forum Architekturwissenschaft, im Sinn einer ersten Bilanzziehung, stichhaltig in Angriff zu nehmen.Zum Beitrag Link
Paolo SanvitoArchitecture as One of Many Mathematical Sciences. Was Mathematics an Auxiliary Science of Architecture in the Early Modern Period?+Some attention should be paid to changes occurring in Northern Italian academic circles during the early modern period in the definition of the natural sciences. Specifically to the extent to which they were seen as related to other disciplines such as geography, geodesy, ‘the artes’ or arts ‘of drawing’: architecture, fortification and mathematics. In Padua, what we may call peripheral realms of science were definitively finding a stronger legitimation in the scholarly world. At the same time these peripheral realms also became absorbed by the official sciences around the year 1550, anticipating later changes in the academic perception. Let us be reminded of developments around the earliest invention and subsequent diffusion of technical schools in the 18th century, where physics, astronomy and statics began to be taught. Even in the late Renaissance, the ancient science of mechanics was occasionally identified with engineering (‘scientia de ingeniis’) or architecture, which was theoretically defined a ‘Scientia’, and ended up being classified among the ‘scientiae mediae’ or mediation sciences.Zum Beitrag Link
Irene Breuer Der Bruch mit dem Paradigma der Repräsentation und der Kompossibilität der Welt. Seine Folgen für das Architekturwissen aus phänomenologischer Sicht+Die Erkenntnis, die leiblich affektive Erfahrung verleihe der polymorphen Welt einen Sinn, der subjektiv-relativ ist und sich stets immer neu bildet, hat einen Bruch mit dem Paradigma der Natürlichkeit der Perspektivität (Repräsentationsverhältnis) – und somit auch mit dem Glauben an die Kompossibilität der Welt (Wahrnehmungsverhältnis) hervorgebracht. Dieser Bruch führt zu einem Überschuss der Sinnlichkeit über die Begrifflichkeit, was sich in der affektiv-leiblichen Raumerfahrung ausdrückt. Die Ästhetisierung dieses Überschusses erzeugt ein spezifisches architektonisches Wissen, das auf haptischen und optischen Bestimmungen beruhend, sich in der Bildung von ‚Atmosphären‘ erweist.Zum Beitrag Link
Beate LöfflerDazwischen und darüber hinaus. Gedanken zu einigen disziplinären Referenzsystemen architekturwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses+Der Aufsatz plädiert dafür, Architekturwissenschaft als kooperatives Forschungsfeld mit vielfältigen konzeptionellen und methodologischen Zugängen zu betrachten. Er verweist auf epistemologische Konflikte zwischen den intrinsischen Logiken bestehender Disziplinen und fordert dazu auf, die Beweggründe dafür zu verstehen. Bewusst und einander ergänzend angewendet, könnte die disziplinäre Arbeitsteilung letztlich zur fruchtbaren Grundlage holistischer Architekturforschung werden. Abschließend fragt der Aufsatz danach, wie es gelingen kann, Lokalität und Globalität von Architekturpraxis und Architekturdiskurs ebenso abzubilden wie kulturelle Spezifika des Bauens über Zeiten und Räume hinweg.Zum Beitrag Link
Roland MeyerVon den Rändern her. Zugänge zur Architekturwissenschaft jenseits der Architektur+Angesichts der Durchdringung des gebauten Raumes mit digitalen Technologien sehen nicht wenige das angestammte Terrain der Architektur bedroht. Was Architektur ist, was sie sein kann und welche gesellschaftliche Rolle ihr zukommt, scheint zunehmend unklar. Eben darin liegt die Chance einer Architekturwissenschaft, die sich, Impulse aus der Medien- und Kulturwissenschaft aufgreifend, als historische Reflexionsdisziplin quer zu den bisherigen Disziplinen begreift. Kein eng umrissenes Gegenstandsfeld aus kanonisierten Werken stünde in ihrem Fokus, sondern vielmehr dessen unscharfe Ränder: jene Momente, in denen die Grenzen der Medien und Disziplinen durchlässig werden.Zum Beitrag Link
Sebastian HerkeBauökonomie als Wissenschaft in der Architektur+Die Planungs- und Bauökonomie – als Zweig der Betriebswirtschaftslehre und als neue wissenschaftliche Disziplin – besteht seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Ihr zentraler Gegenstand sind Analysen sowie Methoden, um die Wirtschaftlichkeit von Bauwerken zu verbessern. Dies beschreibt nicht ausschließlich Investitionsentscheidungen des Bauherrn oder der Bauherrin, sondern ebenso Planungsentscheidungen von Architektinnen und Architekten. Im Fokus liegt der gesamte Lebenszyklus der Objekte – von der Projektidee über die Bauplanung und -ausführung bis zur Nutzung und zum Abbruch. Das methodische Vorgehen orientiert sich an den Wirtschaftswissenschaften. Die strukturelle Abgrenzung der Planungs- und Bauökonomie erfolgt hinsichtlich der Institutions-, der Prozess- und der Verfahrenslehre.Zum Beitrag Link
Gernot WeckherlinDie Architekturwissenschaft und ihr Begründer Leo Adler+Der einzigartige Versuch des Architekturkritikers, Architekturhistorikers und Architekten Leo Adlers (1891–1962) zu einer Grundlegung einer Architekturwissenschaft vor inzwischen fast hundert Jahren steht im Mittelpunkt dieses Beitrags. Welches Konzept einer Architekturwissenschaft entwarf Adler? An welche zeitgenössischen Diskurse knüpfte er an? Warum wurde aus dem Versuch einer integrativ verstandenen Architekturwissenschaft nie eine Einzelwissenschaft, wie etwa in der Musik- oder Kunstwissenschaft? Am Ende steht die Frage, inwiefern dieser ältere Versuch noch Relevanz für eine aktuelle Architekturwissenschaft haben könnte.Zum Beitrag Link
Peter I. SchneiderDie Archäologische Bauforschung – eine disziplinierte Architekturwissenschaft?+Subsummiert unter dem Schlagwort einer ‚Architekturwissenschaft‘ ließe sich eine Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren finden, die sich mit unterschiedlichen Perspektiven, Fragestellungen und Methoden wissenschaftlich mit Architektur auseinandersetzen – darunter auch die Vertreterinnen und Vertreter der Historischen Bauforschung. Dieses Fach könnte man dabei fast schon als eine Wissenschaft für sich bezeichnen, da es sich mit einer historischen Perspektive und auf der Basis einer eigenen Methodik mit den Ergebnissen vergangener Planungs- und Bautätigkeit befasst. Führende Vertreterinnen und Vertreter dieser Forschungsrichtung scheuen sich denn auch nicht, für ihr Fach den Status einer eigenständigen Disziplin in Anspruch zu nehmen. Die Schnittmenge zu einer Architekturwissenschaft besteht in der Bestimmung des architekturbezogenen Handelns als ein Aspekt des Bauens. Der Beitrag stellt das Fach in seinem Selbstverständnis und in seiner Entwicklung vor und verweist auf dessen Erfolg als Ergebnis gelungenen ‚communitiy buildings‘.Zum Beitrag Link
Anthony RaynsfordEcology as Architekturwissenschaft. Sim Van der Ryn and the ‘Soft Science’ of Radical Design+This paper re-examines the meanings and origins of ‘green’ or ‘sustainable’ architecture, focusing on the discourses of radical ecology, particularly as these emerged in the work of California architect, Sim Van der Ryn. Known as one of the founders in the late 1960s of ecological design practice, Sim Van der Ryn embraced the full range of meanings attached the term, ‘ecology’, which cannot be reduced to ‘science’ in the biological or geo-physical senses. Following various strands of ecological thinking within the California counterculture, Van der Ryn proposed an epistemological break with architectural knowledge as specialized technique or ‘technê’, particularly as architectural modernists had imagined this knowledge as an extension of rational-industrial society.Zum Beitrag Link
Christa KamleithnerArchitekturtheorie um 1967: eine Umwelttheorie+1967 fand an der TU Berlin ein großer Kongress für Architekturtheorie statt, der jenen Akteuren, die gerade die Architekturtheorie an den Hochschulen verankerten, ebenso eine Bühne bot wie den Protesten der Studierenden. Der Kongress war uneins, viele seiner Beiträge machen aber deutlich, dass die Architekturtheorie zur Zeit ihrer akademischen Etablierung radikal dezentriert war: Sie schloss an die Sozial- und Humanwissenschaften an, die an den neuen Massenuniversitäten boomten, und interessierte sich mehr für die Wirkung der gebauten ‚Umwelt‘ auf ihre ‚Nutzer‘ als für die architektonische Entwurfsarbeit. Der Beitrag vergegenwärtigt diese offene Situation, die sich rasch wieder schließen sollte.Zum Beitrag Link
Michael Dürfeld, Anika Schultz, Christian Stein, Benjamin Thomack, Nadia ZeissigKollaborative Architekturforschung als Programm einer Architekturwissenschaft. Das Netzwerk Architekturwissenschaft als Modell(ierungs)fall+Das Netzwerk Architekturwissenschaft hat für die Initiierung einer interdisziplinären Architekturforschung Pionierarbeit geleistet. In einer Kooperation mit dem ID+Lab wurde das zugrundeliegende Akteursnetzwerk retrospektiv modelliert, analysiert und visualisiert. Der Aufsatz beschreibt das gemeinsame Forschungsprojekt und skizziert eine neuartige Forschungsplattform, um vielfältige fachdisziplinäre Forschungen, forschungsorientierte Lehre und praxisorientierte Forschung sichtbar zu machen, miteinander zu vernetzen und neue Kollaborationen entstehen zu lassen. Damit ist ein weiterer Schritt in Richtung einer kollaborativen Architekturforschung als Programm einer Architekturwissenschaft getan.Zum Beitrag Link
Andrea KopranovicArchitekturdiskurse außerhalb der Universität. Zu den Architekturklassen der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg+Wo kann Architektur außerhalb des universitären Kontextes verhandelt werden – wissenschaftlich, theoretisch, historisch, ideell? An der ältesten Sommerschule Europas: Die Sommerakademie ist eine anti-akademische Institution, gegründet 1953 vom österreichischen Maler Oskar Kokoschka. In ihrer reichen Geschichte lehrten dort Persönlichkeiten wie Jacob Berend Bakema, COOP Himmelb(l)au, Frei Otto, Hans Hollein, Clemens Holzmeister, Arata Isozaki, Roland Rainer, SANAA, Pierre Vago oder Konrad Wachsmann, unter vielen anderen. Die Architekturklassen dienen als Case Study, um Fragen zum Begriff ‚Architektur‘ und zu seinen vielfältigen ‚nicht-praktischen‘ Disziplinen zu erörtern.Zum Beitrag Link
Pablo von FrankenbergArchitecture as Science. Add-on or Autonomous?+When science is understood as a reflection of practice – e.g. history as a reflection of the now, sociology as a reflection of living together – architecture is the reflection of the design of the human habitat. With a brief historic and empirical analysis this essay argues that a stronger academically aligned architectural education will improve the architect’s ability to systematically understand and interpret construction tasks and their boundary conditions. It is precisely the practice of architecture that makes obsolete disciplinary dissociations. Paradoxically, it also calls for a profound theoretical and methodological foundation. From this perspective, architectural science can be seen as an autonomous subject. It is, in any case, an absolutely essential add-on for architectural study.Zum Beitrag Link
Tom SteinertWissenschaftliches Storytelling. Ein Streifzug+Im Gegensatz zur Wunschvorstellung allumfassender wissenschaftlicher Systeme, bei denen das Besondere sich im Allgemeinen einordnet, steht das Storytelling. Das Wissen wird am Besonderen entwickelt, zwar nicht in aller denkbaren Vollständigkeit und Gleichwertigkeit, dafür in konkret anschaulicher Weise. Am Besonderen erkennen wir das Allgemeine. Zugleich erscheint Storytelling als Möglichkeit, die Langeweile zu vermeiden, die Systematisierungsversuchen bisweilen schicksalhaft eignet. Auch das haben Museumsdirektoren im Sinn, wenn sie an die Stelle überblickshafter Sammlungspräsentationen das Objekt in seiner Eigenart setzen. Doch welche Bedeutung kann Storytelling in der Wissenschaft haben?Zum Beitrag Link
Ole W. FischerZur Programmatik einer kritischen Entwurfsmethodik. Architekturwissenschaft in der Anwendung? Ein Erfahrungsbericht+In der heutigen Architekturlehre herrscht eine Teilung von Entwurfsstudio (Praxis) und den begleitenden wissenschaftlichen Fächern (Theorie) vor. Dieser Beitrag skizziert alternativ eine kritische Entwurfsmethodik als Überwindung dieser klassischen Teilung, indem Theorie, Lehre, Entwurf und wissenschaftliches Arbeiten mit Studierenden in einem integrierten Studio selbst zu einer Form der angewandten Architekturwissenschaft werden können. Angewandt deshalb, weil sie die Entwurfspraxis selbst analysiert, um systematisch Erkenntnisse über diese zu erwerben, zu vermitteln und zu testen.Zum Beitrag Link
Carola EbertVon der Architektenausbildung zum Architekturstudium! Forschendes Lernen als architekturwissenschaftliches Integral in der Lehre+Das Architekturstudium ist inhaltlich, strukturell und personell im deutschsprachigen Raum eng mit der Berufspraxis verknüpft. Die Ausbildung von Architektinnen und Architekten steht im Vordergrund der Akkreditierungsanforderungen und die architektonische Praxis prägt Alltag und die Erfahrungen der meisten Lehrenden. Das folgende Manifest plädiert für ein erweitertes Verständnis des Architekturstudiums. Es nutzt die forschungsorientierte Perspektive der Architekturwissenschaft und das hochschuldidaktische Format Forschenden Lehrens, um diese Gewissheiten der Architekturlehre zu hinterfragen. Aufbauend auf zehn Thesen postuliert es ein Architekturstudium mit zwei unterschiedlichen Integralen – mit Entwerfen als entwurfspraktischem und Forschendem Lernen als architekturwissenschaftlichem Integral.Zum Beitrag Link
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